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|| Jos Schaeken 2000
The 1229 Treaty between Smolensk, Riga and
Gotland (version A)
German translation by Goetz
(1916: 232-293)
Digits in square brackets refer to the line numbers
of the manuscript.
Einleitung [1-14]
Was in der Zeit geschieht, vergeht mit der Zeit.
(Darum) wird es guten Leuten anvertraut, oder man bestätigt es durch eine Urkunde,
daß es allen bekannt werde, auch denen, die später leben. In dem Jahre, als Albrecht
der Bischof von Riga starb, überlegte der Fürst von Smolensk, Mstislav des David
Sohn, sandte nach Riga seinen besten Priester Jeremias und mit ihm den verständigen
Mann Pantelej aus seiner Stadt Smolensk: die zwei wurden gesandt nach Riga, von
Riga zogen sie zum Gotischen Ufer, um dort den Frieden zu bestätigen. Sie bestätigten
den Frieden, denn es war kein Friede zwischen Smolensk und Riga und dem Gotischen
Ufer für alle Kaufleute. Für diesen Frieden bemühten sich die guten Leute: Rolf
aus Kassel, ein Gottesritter, und Thomas, ein Smolensker, damit Friede sei in
Ewigkeit. Sie stellten wieder den Frieden her, wie es den Russen angenehm war
und der ganzen lateinischen Zunge, die in Rußland Handel treibt. Auf Grund dieses
Friedens, damit er Bestand hätte, war es dem Fürsten genehm und allen Rigaern
und der ganzen lateinischen Zunge und allen, die auf die Ostsee fahren, das Recht
aufzustellen und niederzuschreiben, wie es halten sollen die Russen mit der lateinischen
Zunge und die lateinische Zunge es halten soll mit den Russen. Wenn es geschähe,
was Gott verhüte, daß zwischen uns Streit wäre, oder daß man einen Menschen totschlüge,
so ist für diesen Menschen zu bezahlen, damit der Frieden nicht verletzt werde:
es ist so zu bezahlen, wie es den beiden (Parteien) genehm wäre. Hier beginnt
das Recht.
1. Tötung [15-16]
Wenn ein freier Mann erschlagen wird, dann 10 Grivna
Silber für das Haupt. Wenn ein Sklave erschlagen wird, ist 1 Grivna Silber zu
bezahlen in Smolensk, ebenso zahlt man auch in Riga und am Gotischen Ufer.
2. Verstümmelung [16-18]
(Für) Auge, Hand, Fuß oder irgend ein anderes (Glied)
ist 5 Grivna Silber von jedem (Glied) zu zahlen: Für ein Auge 5 (Grivna) Silber,
für eine Hand 5 (Grivna) Silber; für einen Fuß 5 (Grivna) Silber, und für jedes
Glied 5 Grivna Silber; für einen Zahn 3 Grivna Silber: sowohl in Smolensk als
in Riga und am Gotischen Ufer.
3. Körperverletzung [18-22]
Wer einen anderen mit einer Lanze [Holz] schlägt,
und der andere wird blau oder blutig, hat 1½ Grivna Silber zu bezahlen. Wenn man
auf das Ohr schlägt, dann ¾ (Grivna) Silber. Tut man etwas (derartiges) einem
Boten und Priester, so nimmt man das Doppelte für ihn, zwei Zahlungen (finden
statt). Wenn man jemanden verwundet, 1½ Grivna Silber, wofern er (oder:
es) ohne Verstümmelung ist. So ist zu zahlen in Smolensk und in Riga und am Gotischen
Ufer.
4. Bürgschaft und Schuldhaft [22-24]
Wenn ein Russe in Riga oder am Gotischen Ufer Schuldner
wird, soll man ihn nicht in den Block setzen. Wenn ein Lateiner in Smolensk Schuldner
wird, soll man ihn nicht in das Gefängnis werfen; ist kein Bürge da, so darf man
ihn in Eisen legen.
5. Vorzugsrecht des fremden Gläubigers vor dem einheimischen
[24-26]
Wenn ein Lateiner einem Russen seine Ware in Smolensk
auf Borg gibt, muß er (der Russe) dem Deutschen zuerst zahlen, auch wenn er einem
anderen Russen schuldig wäre. Ebenso bekommt der Russe (zuerst) in Riga und am
Gotischen Ufer.
6. Vorzugsrecht des fremden Gläubigers bei Konfiskation
durch den Fürsten [26-29]
Wenn der Fürst gegen seinen Mann zürnt und der (dieser)
Russe einem Deutschen schuldig ist und der Fürst alles, Weib und Kind in Knechtschaft
nimmt, muß er (der Fürst) erst dem Lateiner bezahlen, darnach kann der Fürst mit
seinem Mann tun, wie es ihm beliebt. Dasselbe Recht hat der Russe in Riga und
am Gotischen Ufer.
7. Vorzugsrecht des fremden Gläubigers vor dem Erben
des Schuldners [29-31]
Wenn ein Lateiner einem fürstlichen Diener auf Borg
gibt, oder einem anderen guten Mann, und (dieser) stirbt ohne bezahlt zu haben,
so muß, wer diesen Nachlaß erhält, den Deutschen bezahlen. Dasselbe Recht hat
der Russe in Riga und am Gotischen Ufer.
8. Zeugen [31-34]
Ein Russe darf einen Lateiner nicht vor Gericht
ziehen mit (nur) einem Zeugen, wenn nicht zwei Zeugen vorhanden sind, der eine
ein Deutscher und der zweite ein Russe, gute Leute. Ebenso kann ein Lateiner über
einem Russen nicht obsiegen, wenn nicht zwei Zeugen (vorhanden) sind, ein Russe
und der zweite ein Deutscher, in Riga und am Gotischen Ufer.
9. Eisenprobe [34-35]
Ein Russe darf einen Lateiner nicht zum glühenden
Eisen führen; wenn er (der Lateiner) selbst will (mag er gehen). Und ein Lateiner
darf ebenso einen Russen nicht führen; wenn er (der Russe) selbst will (mag er
gehen).
10a. Gerichtlicher Zweikampf [35-36]
Ein Russe darf einen Lateiner nicht zum Zweikampf
herausfordern im Russischen Land, und ein Lateiner darf einen Russen nicht zum
Zweikampf herausfordern in Riga und am Gotischen Ufer.
10b. Eigene Gerichtsbarkeit der Fremden unter sich [37-39]
Wenn lateinische Gäste sich unter einander schlagen
im Russischen Land entweder mit dem Schwert oder mit dem Spieß [Holz], so hatt
der Fürst damit nichts zu tun, sie entscheiden das unter sich (selbst). Ebenso
wenn Russische Gäste sich in Riga oder am Gotischen Ufer schlagen, haben die Lateiner
nichts damit zu tun, sondern diese (Russen) bringen das unter sich selbst in Ordnung.
11. Ehebruch [39-40]
Wenn ein Russe einen lateinischen Mann mit seiner
Frau antrifft, so zahlt (der Lateiner) dafür 10 Grivna Silber. Ebenso zahlt, wenn
er das tut, ein Russe in Riga und am Gotischen Ufer.
12. Vergewaltigung von Frau und unfreier Magd [40-44]
Wenn ein lateinischer Mann einer freien Frau Gewalt
antut und es war vorher auf ihr kein Makel, so sind dafür 5 Grivna Silber zu zahlen.
Dasselbe Recht hat der Russe in Riga und am Gotischen Ufer. War vorher auf ihr
ein Makel, so erhält sie eine Grivna Silber für die Vergewaltigung. Wenn (ein
lateinischer Mann) eine (unfreie) Magd vergewaltigt, und es sind Zeugen gegen
ihn da, so muß er eine Grivna Silber geben. Dasselbe Recht hat der Russe in Riga
und am Gotischen Ufer.
13. Selbsthilfe [44-45]
Wenn unter Russen und Lateinern einer den anderen
ohne (dessen) Schuld bindet, so sind dafür 3 Grivna Silber zu zahlen.
14. Schuldeintreibung [45-49]
Wenn ein Russe einem Lateiner zu zahlen hat und
will nicht zahlen, so kann der Lateiner beim Tiun sich einen D^et’skij erbitten.
Wenn er dem D^et’skij Lohn gibt und er (der D^et’skij) bringt innerhalb
acht Tagen die (Sache mit der) Ware nicht in Ordnung bei dem Russen, so muß er
(der Russe) ihm (dem Lateiner) für sich einen Bürgen stellen. Wenn die Smolensker
ihm (dem Lateiner) nicht Freiheit dazu lassen, so müssen sie selbst die Schuld
zahlen. Dasselbe Recht hat der Russe in Riga und am Gotischen Ufer.
15. Verkehr an der Tragstelle (Volok) [49-51]
Wenn der Tiun hört, daß lateinische Gäste angekommen
sind, soll er Leute mit Wagen senden, um die Ware überzuführen und soll (die Lateiner)
nicht aufhalten; hält er sie auf, so kann dabei Verlust eintreten.
16. Haftung der Voloker-Innung [51-53]
Wenn ein Voloker lateinische Ware über die Tragstelle
zu fahren übernimmt und es geht etwas von dieser Ware verloren, die ihm anvertraut
ist, so haben (das) alle Voloker zu zahlen. Dasselbe Recht hat der Russe in Riga
und am Gotischen Ufer.
17. Freies Verkaufsrecht der Kaufleute [53-54]
Wenn der Lateiner in die Stadt kommt, steht es ihm
frei, (seine Ware) zu verkaufen und niemand darf dagegen etwas sagen. Ebenso darf
der Russe tun in Riga und am Gotischen Ufer.
18. Freier Handelsverkehr in Rußland außerhalb von Smolensk
bezw. nach Deutschland [54-56]
Wenn ein Lateiner aus Smolensk mit seiner Ware in
ein anderes Land zu ziehen wünscht, darf ihn der Fürst davon nicht abhalten und
auch kein anderer. Ebenso darf der Russe vom Gotischen Ufer in die Trave fahren.
19a. Keine Zurücknahme gekaufter Ware [56-58]
Wenn ein Russe von einem lateinischen Mann Ware
kauft und zu sich (nach Hause) nimmt, so braucht der Lateiner die Ware nicht zurückzunehmen,
der Russe muß sie bezahlen. Ebenso braucht der Russe beim Lateiner seine Ware
nicht zurückzunehmen, er (der Lateiner) muß sie bezahlen.
19b. Gericht in Smolensk bezw. in Riga und am Gotischen
Ufer [58-60]
Ein Russe darf einen Lateiner nicht vor das Gericht
eines andern Fürsten rufen außer vor den Smolensker Fürsten; wenn er (der Lateiner)
selbst will, dann mag er gehen. (nämlich: vor das Gericht eines andern Fürsten).
Ebenso darf ein Lateiner einen Russen nicht vor ein anderes Gericht rufen, außer
in Riga und am Gotischen Ufer.
20. Schiedsgericht des Ältermanns [60-62]
Ein Russe darf gegen einen Lateiner keinen D^et’skij
aufstellen, ohne das (vorher) dem lateinischen Ältermann angezeigt zu haben; wenn
er (der Lateiner) auf den Ältermann nicht hört, so kann jener (Russe) gegen ihn
(den Lateiner) einen D^et’skij aufstellen. Ebenso darf ein Lateiner gegen
einen Russen keinen Biric in Riga und am Gotischen Ufer aufstellen.
21. Freies Einkaufsrecht der Kaufleute [62-64]
Dem Lateiner ist es erlaubt, in Smolensk alle Ware,
die er will, zu kaufen, ohne Schädigung. Ebenso darf der Russe tun in Riga und
am Gotischen Ufer.
22. Kriegsdienst der Fremden [64-66]
Ein Lateiner braucht nicht in den Krieg zu ziehen
mit dem Fürsten oder mit den Russen; wenn er selbst will, mag er gehen. Ebenso
braucht ein Russe nicht mit den Lateinern in den Krieg zu ziehen weder in Riga
noch am Gotischen Ufer; wenn er selbst will, mag er gehen.
23. Behandlung des ertappten Diebes [66-67]
Wenn ein Russe oder Lateiner einen Dieb greift,
so hat er über ihn das Verfügungsrecht. Wenn er will, verfährt er mit ihm.
24. Gerichtliche Entscheidung ohne Berufung [67-71]
Man darf keinem Russen Berufung gewähren in Riga
und am Gotischen Ufer. Ebenso soll man keinem Lateiner im Russischen Land Berufung
gewähren. Wenn eine Streitsache beendet ist in Smolensk zwischen einem Russen
und der lateinischen Zunge, vor den Richtern und vor guten Leuten, soll man sie
nicht wieder in Riga und am Gotischen Ufer anfangen; und was beendet ist in Riga
und am Gotischen Ufer vor Richtern und vor guten Leuten, das soll man in Smolensk
nicht wieder anfangen.
25. Zollfreiheit [71-73]
Jeder lateinische Mann hat freien Weg vom Gotischen
Ufer bis nach Smolensk ohne Zoll. Dasselbe Recht hat der Russe von Smolensk bis
zum Gotischen Ufer.
26. Abgaben der deutschen Kaufleute [73-74]
Wenn (es geschieht, daß) die lateinischen Gäste
in die Stadt kommen vom Volok her, so haben sie der Fürstin ein Stück Tuch (Gewebe)
zu geben und dem Tiun am Volok Handschuhe, damit er die Ware ohne Aufenthalt überführe.
27-31. Wägegebühren [74-79]
27. Der Lateiner hat von zwei Kap Wachs dem Wäger
eine Smolensker Kuna zu geben.
28. Wenn der Lateiner eine Grivna Goldes kauft und sie abwägen läßt, so hat er
dem Wäger eine Smolensker Nogata zu geben. Wenn er verkauft, hat er nichts zu
geben.
29. Wenn ein Lateiner silberne Gefäße kauft, so hat er dem Wäger von der Grivna
Silber je eine Smolensker Nogata zu geben. Wenn er verkauft, hat er nichts zu
geben.
30. Wenn ein Lateiner eine Grivna Silber kauft, so hat er dem Wäger zwei V^ek^sa
zu geben. Wenn er verkauft, hat er nichts zu geben.
31. Wenn ein Lateiner Silber brennen läßt, so hat er von der Grivna Silber eine
Smolensker Kuna zu geben.
32. Revision der Wage [80-81]
Wenn das Kap, mit dem man wiegt, zerbrochen oder
zu leicht wird, dann muß man beide an einen Ort bringen, dasjenige, das in der
hl. Muttergotteskirche auf dem Berge liegt und das zweite in der lateinischen
Kirche und muß beide vergleichen.
33. Transport am Volok [81-84]
Wenn lateinische Gäste und Smolensker zum Volok
kommen, so ist das Los zu werfen, wen man zuerst nach Smolensk führt. Wenn (auch)
Leute aus einem anderen Land da sind, führt man diese später hinüber. Dasselbe
Recht hat der Russe in Riga und am Gotischen Ufer.
34. Verkehrsfreiheit auf der Düna [84-86]
Der Bischof von Riga, der Meister der Gottesritter
und alle Landesherren geben die Düna frei von oben bis unten an das Meer und (zwar)
zu Wasser und am Ufer, der ganzen lateinischen Zunge und den Russen: wer ein rechtmäßiger
Kaufmann ist, dem ist vom Meer an freigegeben, wer die Düna aufwärts oder abwärts
fahren will.
35. Strandrecht und Berglohn [86-90]
Wird einem, was Gott verhüte, das Schiff oder der
Kahn zerschlagen, sei er Russe oder Lateiner, im Gebiet derer, die diese (vorstehende
Fahrt-)Freiheit gewährt haben, so ist seine Ware frei zu Wasser und am Ufer ohne
Schädigung für jeden. Die Ware, die gesunken ist, kann er an der Stelle mit Hilfe
seiner Genossen aus dem Wasser ans Ufer bringen. Wenn er mehr Hilfe nötig hat,
so miete er sie vor Zeugen; wer dort (anwesend) ist, kann Zeuge sein; was man
ihnen (den Helfern) zusagt, das gebe man, aber mehr gebe man nicht.
Schluß [90-102]
Dasselbe Recht hat der Lateiner im Russischen Land
im Gebiet des Fürsten von Smolensk und im Gebiet des Fürsten von Polock und im
Gebiet des Fürsten von Vitebsk. Als diese Urkunde geschrieben wurde, waren vergangen
von der Geburt des Herrn bis zu diesem Jahre 1228 Jahre unter dem Bischof von
Riga, dem Probst Johann, dem Meister Folkwin, dem Gottesritter und unter den Bürgern
von Riga, vor allen lateinischen Kaufleuten. Diese Urkunde ist bestätigt durch
das Siegel aller Kaufleute. Diese Angelegenheit haben in Ordnung gebracht die
verständigen Kaufleute: Regenbode, Dethard, Adam, das waren Bürger am Gotischen
Ufer; Membern (Meinbern), Friedrich Dumbe, die waren aus Lübeck; Heinrich der
Gote, Hildeger (Ilier), die zwei waren aus Soest; Konrad Scheel und Johann Kind
(Kinot), die zwei waren aus Münster; Bernhard und Volker, die zwei waren aus Groningen;
Ermbrecht und Albrecht, die zwei waren aus Dortmund; Heinrich Zeisig aus Bremen;
Albrecht Sluk, Bernhard und Walter und Albrecht der Vogt, das waren Bürger in
Riga und viele andere verständige gute Leute. Welcher Russe oder Lateiner gegen
dieses Vertragsrecht redet, den soll man für einen bösen Mann halten. Diese Urkunde
wurde übergeben auf dem Gotischen Ufer vor den russischen Gesandten und vor allen
lateinischen Kaufleuten.